Eine Vision für eJustice in der Schweiz

Einleitung

Die Schweiz ist ein digitalisiertes Land mit einer ausgezeichneten Infrastruktur. Sie verfügt über die zweitgrösste Dichte an sicheren Internetservern weltweit. Rund neunzig Prozent der Haushalte nutzen das Internet. Schweizerische Firmen gehören bezüglich Innovationsfreudigkeit und Übernahme von neuen Technologien zur absoluten Weltspitze. Dieser Entwicklung entzieht sich auch der Justizbereich nicht. Die Chancen, welche die Digitalisierung bietet, werden auch im Justizbereich vermehrt gesehen und genutzt.

Das an Workshops des Vereins erarbeitete Papier „Eine Vision für eJustice in der Schweiz“ schafft ein einvernehmliches Verständnis des anzustrebenden Ziels und bietet Leitlinien für die Zusammenarbeit aller Stakeholder, um den Transformationsprozess der Digitalisierung im Justizbereich zum bestmöglichen Nutzen aller Beteiligten und unseres Gemeinwesens zu gestalten.

Chancen der Digitalisierung

Für den Justizbereich können insbesondere folgende konkreten Vorteile erwartet werden:

  • Reduktion von manuellen Mehrfach­eingaben von Daten durch durchgän­gige Datenstandards über die gesamte Prozesskette
  • Reduktion von Zeit und Kosten bei Zu­stellungen und bei der Akteneinsicht
  • Reduktion von Zeit und Kosten bei der Aktenbearbeitung (Reduktion Büro- und Archivraum, schneller Dossierzu­griff)
  • Vereinfachung und Beschleunigung der Kommunikations- und Entschei­dungswege und somit Verbesserung der Zusammenarbeit
  • Effizientere und flexiblere Organisation durch erhöhte Mobilität der Dossiers bzw. orts- und zeitunabhängigen Zugriff
  • Nutzen von originär elektronischen Produktivitätshilfsmitteln und spezifischen Funktionen (Verlinkung von Aktenstücken zu Rechtsschriften, Verlinkung zu Rechtsquellen, intelligente Suchfunktionen, Kommentarfunktionen etc.)

Um die Herausforderungen in ihrer täglichen Arbeit heute und in Zukunft zu bewältigen, benöti¬gen alle Beteiligten im Justizwesen ein Arbeitsumfeld, welches sie bestmöglich unterstützt und von unnötigen, unproduktiven Tätigkeiten weitestgehend entlastet, und welches auch in Zukunft für die bestqualifizierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter attraktiv erscheint.

Ist-Zustand

Obschon die Digitalisierung des Arbeitsalltags und der Arbeitswerkzeuge bei allen Beteiligten heute eine Selbstverständlichkeit ist, findet der Rechtsverkehr noch kaum in elektronischer Form statt. Das Bundesgericht hat im Jahr 2015 insgesamt 39 elektronisch eingereichte Beschwerden gezählt (von total 7‘853; also knapp 0.5 % der Eingaben). In den Kantonen ist die Nutzung unterschiedlich, dürfte jedoch die vorgenannte Quote nicht übertreffen, weil dieselben Hürden bestehen. In der informellen Kommunikation werden im Praxisalltag einfache und schnelle Kommunika-tionsformen wie E-Mail vermehrt genutzt, wobei Datenschutz und Anonymität durch verschiede¬ne Notbehelfsmassnahmen (Vermeidung von Namen etc.) zu erreichen versucht oder schlicht vernachlässigt wird.

Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass im Justizbereich der Papierprozess noch Grundlage und Regel ist. Dieser wird punktuell durch elektronische Anwendungen ergänzt und unterstützt. Im geschilderten Zustand kann der durch die Digitalisierung erzielbare Nutzen nicht generiert werden.

Vision

Justizverfahren werden in elektronischer Form anhängig gemacht, geführt, abgeschlossen und publiziert. Sämtliche Verfahrensschritte und sämtlicher Geschäftsverkehr laufen elektronisch ab.

Der Leitsatz lässt sich wie folgt konkretisieren:

Behördenseitig:

  • Justizbehörden empfangen elektronische Eingaben und produzieren elektronische Ergebnisse
  • In der Justiz werden sämtliche Prozesse innerhalb und zwischen Behörden ausschliesslich und vollständig elektronisch abgewickelt.
  • Die Justiz versorgt sämtliche externen berechtigten Bereiche und Systeme bedürfnisgerecht mit elektronischen Daten.

Nutzerseitig:

  • Anwältinnen und Anwälte, Notarinnen und Notare sowie professionell beteiligte Dritte verkehren ausschliesslich und vollständig elektronisch mit den Justizbehörden.
  • Einwohnerinnen und Einwohner können sämtliche Prozesse mit Justizbehörden elektro­nisch führen.
  • Nutzerinnen und Nutzer im Justizbereich (professionell Beteiligte und Einwohnerinnen/Ein­wohner) kommunizieren sicher und benutzerfreundlich in elektronischer Form untereinander sowie mit externen Bereichen und Systemen (einfache und sichere „Version“ von E-Mail Verkehr).

Gesellschaftlich:

  • Die Justiz ist nahtlos ins Ökosystem elektronischer Behördenleistungen integriert und leistet einen Beitrag zur Positionierung der Schweiz als attraktiver, zukunftsorientierter Lebens- und Wirtschaftsstandort.
  • Mit den Mitteln der Informationstechnologie besteht ein umfassender, rechtsgleicher Zugang für alle Einwohnerinnen und Einwohner zu den Entscheiden der schweizerischen Gerichte.
  • Die Justiz setzt natürliche Ressourcen schonend und nachhaltig ein.

Aufgrund der staatsrechtlichen, politischen und strukturellen Vorgaben kann eJustice in der Schweiz nicht durch eine Behörde oder Organisation beschlossen und umgesetzt werden. Alle Beteiligten müssen ihren Teil der Verantwortung wahrnehmen und die Umsetzungsaufgaben in ihrem Zuständigkeitsbereich durchführen.

Vor diesem Hintergrund erscheint es notwendig, dass neben dem Bestehen eines einvernehmlichen Grundverständnisses über das angestrebte Ziel bei der Umsetzung einige einheitliche Grundsätze beachtet werden, und dass für die Zusammenarbeit ein geeignetes Gefäss besteht.

  • Kommunikation
    Für den nachhaltigen Aufbau von eJustice in der Schweiz ist essentiell, dass alle Beteiligten über den Stand bestehender Planungen und Arbeiten oder bestehender Lösungen informiert sind.
  • Kooperation
    Die Justiz ist ein vielschichtiges, komplexes Gebilde. Die Ziele der Vision und die damit verbun­denen Veränderungen können in diesem Umfeld nur erreicht werden, wenn alle Stakeholder nicht nur gegenseitig informiert sind, sondern ihre Anstrengungen miteinander koordinieren und wo möglich und nötig zusammenarbeiten.
  • Kulturwandel
    Ein Digitalisierungsprozess ist ein Strukturwandel, welcher nicht auf den Wechsel vom Medium Papier auf ein elektronisches Medium reduziert werden kann. Der Wandel hat vielmehr auch Auswirkungen auf die Arbeitsmethodik, die Organisationsstrukturen und die Organisationskul­tur. Diesem Prozess ist die notwendige Aufmerksamkeit zu schenken.

Rolle des Vereins eJustice.CH

Der Verein eJustice.CH vereint sowohl die Gerichte des Bundes und einer Vielzahl von Kantonen, den schweizerischen Anwalts- resp. Notarenverband, als auch weitere in diesem Prozess wichtige Organisationen (Bundesamt für Justiz BJ, KKJPD, IT-Dienstleisterinnen) und bietet deshalb ein geeignetes Gefäss, um den Transformationsprozess aktiv zu begleiten und die Kommunikations- und Kooperationsaufgaben zu erleichtern.

Die im Verein versammelten Organisationen werden dieses Gefäss als Informationsdrehscheibe für die Sicherstellung geeigneter Kommunikations- und Kooperationstätigkeiten nutzen.

Links

Das vollständige Visionspapier können Sie hier herunterladen
Die Vision eJustice stand im Fokus der 13. Tagung für Informatik und Recht
Vortrag von Vorstandsmitglied Daniel Gruber an der Tagung für Informatik und Recht.